Überblick Barrierefreiheit – BITV, WCAG, ARIA, BFSG & Co.

Barrierefreiheit ist ein vielschichtiges Thema, das durch eine Reihe von Organisationen, Empfehlungen, Verordnungen und Gesetzen sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene geregelt wird:

Organisationen, die sich für Barrierefreiheit einsetzen, entwickeln Empfehlungen und Richtlinien. Da hierbei noch keine gesetzliche Verpflichtung besteht, überführen einzelne Länder bzw. nationale Zusammenschlüsse wie die EU diese Richtlinien in Gesetze. Grundlage dafür sind u.a. Verordnungen oder bereits bestehende Gesetze.

Schauen wir uns alles im Bezug auf das Erstellen barrierefreier Websites einmal im Detail an.

W3C und WAI

Das »World Wide Web Consortium« (W3C) erarbeitet seit 1994 technische Standards für den »World Wide Web« (WWW) genannten Teil des Internets, der aus einem System von Hypertext-Dokumenten, also Webseiten besteht.

Innerhalb des W3C entstand 1997 die »Web Accessibility Initiative« (WAI) deren Hauptaufgabe darin besteht, das WWW für alle Menschen möglichst zugänglich zu gestalten. Um diese Zugänglichkeit bewerten zu können, müssen Bedingungen und Eigenschaften für diese Zugänglichkeit definiert werden. Das WAI hat mit den »Web Content Accessibility Guidelines« (WCAG), den »Richtlinien für barrierefreie Webinhalte«, hierfür einen Standard geschaffen.

WAI-ARIA

Die WAI hat auch die »Accessible Rich Internet Applications« (ARIA) entwickelt. ARIA ist eine technische Spezifikation, die dabei hilft, Webinhalte und -anwendungen besser zugänglich zu machen. ARIA stellt eine Reihe von Attributen bereit, die zu bestehenden HTML-Elementen hinzugefügt werden, um deren Semantik und Funktionalität zu verbessern – insbesondere für Benutzer, die assistive Technologien wie Screenreader verwenden.

WCAG – Web Content Accessibility Guideline

Die WCAG sind internationale Richtlinien, die konkrete Empfehlungen zur Barrierefreiheit von Webinhalten geben. Sie sind in drei Konformitätsstufen (A, AA, AAA) unterteilt und dienen als globaler Standard sowie als Grundlage für viele nationale und internationale Regelungen.

Die Bezeichnung »Richtlinien« weist auf den freiwilligen Aspekt hin: Jeder kann (und sollte) sich an sie halten, muss es aber nicht.

2018 erschienen die WCAG 2.1. Sie beinhaltet insgesamt 78 Erfolgskriterien, von denen 50 das Level AA abdecken. Im Jahr 2021 wurden dann die WCAG 2.2 veröffentlicht, die weitere neun neue Erfolgskriterien ergänzt und somit die Gesamtanzahl auf 87 erhöht.

Die WCAG 2.1. ist nach wie vor relevant, da einige nationale Regelungen sich noch auf WCAG 2.1 beziehen und nicht auf die schon neuere WCAG 2.2.

Die WCAG 3 sind derzeit in Entwicklung. WCAG 3 zielt darauf ab, flexiblere und umfassendere Richtlinien bereitzustellen, die sich an eine breitere Palette von Technologien und Benutzerszenarien anpassen lassen. Zu den erwarteten Änderungen gehören ein neues Bewertungssystem für die Barrierefreiheit, das auf einer abgestuften Skala basiert, sowie eine größere Betonung auf die Nutzererfahrung und die Einbeziehung von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen in den Entwicklungsprozess.

Rechtliche Grundlagen in der EU und Deutschland

Die bisher genannten Organisationen und Regelungen stellen keine gesetzliche Verpflichtung dar. Jeder kann entscheiden, ob den Empfehlungen gefolgt wird oder nicht. Damit eine Verpflichtung zur Umsetzung besteht, muss die gesetzliche Grundlage geschaffen werden. In diesem Zusammenhang sind ein Gesetz, zwei Verordnungen und eine Norm relevant.

Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)

Das Behindertengleichstellungsgesetz bildet den rechtlichen Rahmen für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in Deutschland. Es verpflichtet öffentliche Stellen, ihre Angebote barrierefrei zu gestalten und dient als Basis für spezifischere Verordnungen wie die BITV.

EU-Richtlinie 2016/2102

Die EU-Richtlinie 2016/2102 verpflichtet alle EU-Mitgliedstaaten, die Barrierefreiheit von Webseiten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen sicherzustellen. Sie basiert auf den WCAG 2.1 und harmonisiert die Barrierefreiheitsstandards innerhalb der Europäischen Union.

EU-Richtlinie 2019/882 (European Accessibility Act)

Die EU-Richtlinie 2019/882, auch als Europäischer Rechtsakt zur Barrierefreiheit bzw. European Accessibility Act (EAA) bekannt, erweitert die Anforderungen der Barrierefreiheit auf den privaten Sektor in der EU. Sie verpflichtet Unternehmen, eine Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, barrierefrei zu gestalten. Diese Richtlinie wird in Deutschland durch das BFSG umgesetzt.

EN 301 549

Die Europäische Norm 301 549 legt technische Anforderungen an die Barrierefreiheit von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) fest. Sie dient als technischer Standard zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/2102 und umfasst ein breites Spektrum von IKT-Produkten und -Dienstleistungen.

BITV (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung)

Die deutsche Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) definiert für alle Websites öffentlicher Einrichtungen (Bund, Länder und Kommunen) die einzuhaltenden gesetzlichen Vorgaben, um als barrierefrei bewertet zu werden.

2019 wurde die BITV 2.0 veröffentlicht. Sie basiert auf der »Europäischen Richtlinie 2016/2102«, welche wiederum die »EN 301 549« beinhaltet. In diese wiederum fließen unter anderem die 50 AA-Kriterien der WCAG 2.1 ein.

Darüber hinaus definiert die BITV 2.0 Anforderungen, die über das AA-Level hinausgehen, aber nicht unbedingt den AAA-Kriterien entsprechen. Die BITV enthält demnach mehr Prüfschritte als die WCAG.

BFSG (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz)

Im Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Das BFSG setzt die EU-Richtlinie 2019/882 in deutsches Recht um und erweitert die Verpflichtung zur Barrierefreiheit auf den privaten Sektor. Es fordert Barrierefreiheit für eine Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind.

BIK-Tests

Die erfolgreiche Umsetzung von Maßnahmen zur Barrierefreiheit kann durch Tests externer Stellen zertifiziert werden. Mitunter besteht dazu auch eine Verpflichtung. Der BIK-Prüfungsverbund nimmt in diesem Zusammenhang eine hervorgehobene Stellung ein.

Unter dem Kürzel BIK (barrierefrei informieren und kommunizieren) sind verschiedene Projekte und Initiativen durchgeführt worden. Über lange Zeiträume öffentlich gefördert, ist der BIK-Prüfungsverbund auch Dialogpartner für diverse Interessenvertretungen. Am bedeutendsten sind in diesem Zusammenhang sicherlich die beiden erhältlichen Tests:

Der Markt für offizielle Testverfahren und Gutachten setzt in Deutschland auf der vergleichsweise großen Bedeutungshoheit der BIK auf.

Zusammenfassung

Die erwähnten Gesetze und Standards ergänzen sich und sorgen dafür, dass Barrierefreiheit umfassend und wirksam umgesetzt wird. Sie gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zu Informationen, Produkten und Dienstleistungen haben und tragen so zu einer inklusiveren Gesellschaft bei.

Geschrieben von:

Jonas Hellwig

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Jonas ist Gründer der Agentur kulturbanause und des kulturbanause Blogs. Er arbeitet an der Schnittstelle zwischen UX/UI Design, Frontend und Redaktion und hat zahlreiche Fachbücher und Video-Trainings veröffentlicht. Jonas Hellwig ist regelmäßig als Sprecher auf Fachveranstaltungen anzutreffen und unterstützt mit Seminaren und Workshops Agenturen und Unternehmen bei der Planung, der Gestaltung und der technischen Umsetzung von Web-Projekten.

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Raimund Büchner

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Raimund ist oft die erste Ansprechperson bei kulturbanause. Er kümmert sich hauptsächlich um die Betreuung und Beratung unserer bestehenden als auch künftigen Kundschaft. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt im Design nicht unmittelbar sichtbarer Dinge: Struktur und Inhalte. Projekte unterstützt er daher vor allem in der Anfangsphase in Bereichen wie Informationsarchitektur, UX-Design und Content Strategy.

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