Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) und seine Umsetzung
Für Wirtschaftsakteure gilt ab 2025 erstmals eine Verpflichtung zur Einhaltung der Barrierefreiheit in einer Reihe von Dienstleistungen und Produkten.

Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist erstmals ein Gesetz verabschiedet worden, dass auch private Wirtschaftsakteure verpflichtet, verschiedene Dienstleistungen und Produkte barrierefrei in Verkehr zu bringen. Es folgt auf die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV) 2.0, die schon seit 2019 für Websites und Apps öffentlicher Stellen rechtskräftig ist.
Von Europa nach Deutschland
Bereits im Juni 2019 trat die Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und Rates in Kraft, die unter dem Namen »European Accessibility Act« (EAA) bekannt geworden ist. Richtlinien sind Vorgaben der EU, die nicht unmittelbar/unverändert für alle Mitglieder gelten, sondern in nationale Gesetze überführt werden müssen.
Aus Sicht der EU sollen durch diese nationalen Gesetze Anforderungen zur Barrierefreiheit vereinheitlicht werden, um für alle Marktteilnehmer die gleichen rechtlichen Grundlagen zu schaffen. Das ist für Deutschland mit dem BFSG geschehen, welches im März 2021 verabschiedet wurde. Im Juni 2022 folgte die Verkündung der Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, mit der die Umsetzung des Gesetzes von Verwaltungsseite detailliert festgelegt wird.
Wofür gilt das BFSG?
Das BFSG führt eine ganze Reihe von Dienstleistungen und Produkten auf, die ab dem Inkrafttreten des Gesetzes barrierefrei angeboten werden müssen. Unter das Gesetz fallen generell die Anbieter der genannten Dienstleistungen sowie alle Hersteller, Händler oder Importeure der aufgeführten Produkte.
Diese Dienstleistungen sind ab Juni 2025 barrierefrei anzubieten
- Telefondienste
- E-Books
- Messenger-Dienste
- Auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen (inklusive Apps) im überregionalen Personenverkehr
- Bankdienstleistungen
- Elektronischer Geschäftsverkehr
- Personenbeförderungsdienste (mit regionalen Einschränkungen)
Diese Produkte sind ab Juni 2025 barrierefrei anzubieten
- Computer, Notebooks, Tablets, Smartphone, Mobiltelefone samt Betriebssystemen
- Geldautomaten, Fahrausweis- und Check-in-Automaten
- Fernsehgeräte mit Internetzugang
- E-Book-Lesegeräte
- Router
Die meisten Einträge sprechen für sich selbst, beim elektronischen Geschäftsverkehr gibt es Klärungsbedarf:
Bei »Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr« handelt es sich um über Webseiten angebotene Dienstleistungen, die elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers in Hinblick auf den Abschluss eines Vertrags erbracht werden.
Hierunter fallen sowohl der Verkauf von Produkten als auch die Buchung von Terminen für eine zu erbringende Dienstleistung.
Extrahiert aus den »Leitlinien für die Anwendung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes« des BMAS
Welche Websites müssen nach BFSG barrierefrei erstellt sein?
Wir dürfen keine Rechtsberatungen durchführen und stellen lediglich unsere Einschätzung dar.
Websites für Dienstleistungen, die unter das BFSG fallen
Die Websites von Anbietern dieser Dienstleistungen müssen vollständig barrierefrei umgesetzt sein. Da die Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein müssen, schließt das die Website ein, über die diese Dienstleistungen angeboten oder unterstützt werden. Bezogen auf den elektronischen Geschäftsverkehr gehören dazu neben dem Online-Shop oder der Buchungsplattform selbst auch Informations- und Kundensupport-Seiten.
Websites für Produkte, die unter das BFSG fallen
Die Websites von Herstellern für die entsprechenden Produkte müssen vollständig barrierefrei sein. Das BFSG legt fest, dass alle Informationen, die für die Nutzung der Produkte notwendig sind, barrierefrei zugänglich sein müssen. Dies schließt Websites ein, die wichtige Informationen über die Produkte bereitstellen, wie z.B. Bedienungsanleitungen, Produktbeschreibungen und Support-Informationen.
Websites für ausschließliche Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen (B2B)
Wir haben nur Aussagen gefunden, die davon ausgehen, dass das BFSG die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen regelt, die von (End-)Verbrauchern genutzt werden – also B2C. Uns erschließt sich nicht, warum eine barrierefreie Nutzung im B2B-Kontext nicht ebenfalls durch das Gesetz gedeckt ein sollte, aber wir wissen, dass Unternehmen mit ausschließlichem B2B-Fokus diese Lücke argumentativ nutzen, um die Anforderungen nicht verpflichtend erfüllen zu müssen.
Gute Absichten, stets bemüht …
Die Anforderungen des BFSG sind teils nicht so umfassend wie die der BITV. So müssen vor dem 28.06.2025 bereits veröffentlichte zeitbasierte Medien und Dateiformate von Büro-Anwendungen sowie als Archiv-Bestandteil gewertete Webseiten-Inhalte nicht barrierefrei bereitgestellt werden. Damit entfällt ggf. ein größerer Kostenfaktor.
Ausgenommen sind auch Anbieter von Dienstleistungen, die als »Kleinstunternehmen« weniger als zehn Beschäftigte sowie höchstens 2 Millionen Euro Jahresumsatz aufweisen. Für diese soll ein »Beratungsangebot bei der Bundesfachstelle Barrierefreiheit« geschaffen werden.
Weiterhin kann von der Einhaltung des Gesetzes abgesehen werden, wenn diese bei Dienstleistungen und Produkten zu grundlegenden Veränderungen bzw. unverhältnismäßiger Belastung des Unternehmens führen würde.
In § 38 des BFSG werden Übergangsbestimmungen behandelt. Nicht barrierefreie Selbstbedienungsterminals dürfen »bis zum Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer, aber nicht länger als fünfzehn Jahre« eingesetzt werden.
Im gleichen Paragrafen werden Übergangsfristen für Dienstleistungserbringer definiert, die bestimmte, nicht barrierefreie Produkte zur Erbringung ihrer Dienstleistung nutzen bzw. ihre Dienstleistung aufgrund Verträgen erbringen, die vor dem Stichtag abgeschlossen wurden. Folgt man mit seiner Rechtsauffassung der Bundesfachstelle Barrierefreiheit, gelten diese Übergangsfristen nicht für Websites (Online-Shops) und Apps!
Mit Rücksicht auf Wirtschaftsinteressen sind also einige Anforderungen des EAA auf der Strecke geblieben, die über die absoluten Minimalforderungen hinausgehen. Das führt aus Sicht der Menschen, die Beeinträchtigungen unterliegen, zu einer nicht unerheblichen Schwächung des Gesetzes.
Dazu findet die Durchsetzung des Gesetzes per »Marktüberwachung« durch die Bundesländer statt. Wir haben in den letzten Jahren nicht unbedingt durchschlagende Erfolge bei diesem dezentralen Ansatz gesehen.
Wer sich durch aufgeführte Produkte oder Dienstleistungen in seinen Rechten verletzt sieht, soll sich zunächst an diese noch zu schaffenden Behörden wenden, bevor der Rechtsweg offensteht. Unternehmen können also nicht unmittelbar zur Verantwortung gezogen werden.
Was empfehlen wir unseren Kunden?
Einige unserer Kunden stehen vor diesen Anforderungen:
- Websites und Apps, auf die das BFSG zutrifft, müssen ab dem 28. Juni 2025 gemäß der europäischen Norm EN 301 549 barrierefrei sein. Diese orientiert sich wie die BITV 2.0 an den weltweiten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG).
- Diese Websites und Apps müssen eine Art »Erklärung zur Barrierefreiheit« (bzw. Information nach »Anlage 3«) enthalten.
- Die Einhaltung der gesetzlichen Pflichten wird überwacht. Die Überwachung erfolgt sowohl ohne Anlass als auch anlassbezogen.
- Die Nicht-Erfüllung der Pflicht zur Barrierefreiheit kann Konsequenzen haben, die bis zur Einstellung der Dienstleistung reichen können.
Obwohl der Zwang sich für einige Unternehmen möglicherweise noch in Grenzen hält, können wir nur dazu raten, frühestmöglich mit der sukzessiven Umsetzung der Anforderungen zu beginnen. Das Unterfangen kann bei größeren Projekten sehr zeitintensiv werden.
Viel Verwirrung gibt es um die verschiedenen Anforderungslisten von WCAG und BITV. Hier empfehlen wir, sich am neuesten Stand zu orientieren, auch wenn diese Anforderungen teilweise noch keine gesetzliche Vorgabe sind. Das hängt mit der Trägheit der politischen Prozesse zusammen. Über kurz oder lang werden die Anforderungen in die Gesetze einfließen.